Transfusion bei Frühgeborenen- eine aktuelle Übersicht

Villeneuve A et al. Neonatal red blood cell transfusion.Vox Sang. 2020 Nov 27. doi: 10.1111/vox.13036. Online ahead of print.

Eine Übersicht wie diese ist für uns aus mehrerer Sicht interessant: Wie ist der aktuelle Stand in einem anderen, vergleichbar zivilisierten Land mit einer aufgrund der Weite des Landes schwierigeren Blutproduktelogistik? Wie ist die Versorgung dieser speziellen Empfänger von Blutkonserven unter dem Aspekt der international unterschiedlichen Blutkonservenherstellung? Und haben alle von uns die Besonderheiten der Hämotherapie in dieser Altersgruppe noch im Gedächtnis, wenn wir nicht ständig damit zu tun haben?

Wir haben den Übersichts-Artikel für Sie zusammengefasst und ausführlich wiedergegeben. Wo die deutschen Gepflogenheiten bei der Versorgung und ein Vergleich mit den Empfehlungen der aktuellsten Querschnittsleitlinien (QLL) 2020 interessant war, haben wir das entsprechende Kapitel für Sie herausgesucht. 

Anämie der Frühgeborenen

Die Übersicht beginnt mit der Anämie bei Neugeborenen und dem natürlichen Verlauf der Hämoglobinkonzentration (Hb) in den ersten 6 bis 12 Wochen. Das Lebensalter der Erythrozyten ist mit 40-60 Tagen erheblich kürzer als beim Erwachsenen. Die Anämie beträgt meist nicht weniger als Hb 10g/dl. Dieser physiologische Prozess der sich erst steigernden Erythropoetinproduktion ist beim Frühgeborenen unterschiedlich: Bei Geburtsgewichten von 1,5 bis 2,5k g erreicht die Hb ihren Nadir von ca. Hb 9g/dl nach 8 bis 10 Wochen, bei noch kleineren Kindern zwischen 1 und 2 kg Geburtsgewicht von Hb 7g/dl nach 4-6 Wochen. Die Anämie des Frühgeborenen ist mit einer durchschnittlichen Dauer von 3-6 Monaten deutlich auch durch iatrogen notwendige Blutentnahmen verlängert.

Epidemiologischer Transfusionsbedarf

Öfter als alle anderen Altersgruppen werden Kinder < 1kg transfundiert (90%). In Kanada auf den neonatologischen Intensivstationen (NICU) wurden ca. 56%  bis 72% aller Bluttransfusion bei Frühgeborenen < 30- 34 Wochen verabreicht. 

Benefits und Risiken

Sicher gibt es einen Grad der anämischen Hypoxie auch in diesem Patientenkollektiv, der nur durch die Erhöhung der Sauerstofftransportkapazität mittels Fremderythrozyten therapiert werden kann. Im anämischen Schock und unter Beatmung gibt es Empfehlungen und Studien, die allerdings ohne Kontrollgruppe berichten, dass die Therapie mit Erythrozytenkonzentratlösung der Blutdruck und die Oxygenierung verbessert werden konnte. Widersprüchlich ist der Effekt auf Apnoephasen und Bradykardieepisoden, ebenso zur Gewichtszunahme berichtet. Leider ist in diesem Artikel nicht herausgearbeitet, ob es dazu eindeutige Belege durch Studien mit Kontrollgruppe gibt, die einen Volumeneffekt ausschließen. Alle zitierten Arbeiten sind Observationen und ohne einen Vergleich.

Die Risiken sind die üblichen der Bluttransfusion, mit allrdings potenzierten Gefahren bei CMV und ZIKA-Übertragung (beherrscht durch seronegative Spender und Leukozytendepletion), und nicht -infektiöse Risiken. Darunter sind in dieser Altersgruppe nekrotisierende Enterokolitis (NEC- durch Transfusion OR 2,3; 95% CI 1,2–4,2), bronchopulmonaler Dysplasie (BPD-durch Transfusion OR 1,05; 95% CI 1,02–1,07;p= 0,0001), Frühgeborenenretinopathie (ROP- durch Transfusion OR 2,4; 95% CI 1,4–4,1), intraventrikuläre EInblutungen (IVH- durch Transfusion OR 2,4; 95% CI 1,4–4,1) und abnormale neurologische Entwicklung besonders bedeutsam. TRALI und TACO sind in dieser Altersgruppe vermutlich unterrepräsentiert, da die Erwachsenendefinitionen schwierig auf beatmete FG anzuwenden sind. Interessanterweise sind die mit Bluttransfusion assoziierten neurologischen Langzeitfolgen (5-18J später, assoziative verbale Flüssigkeit, visuelles Gedächtnis und Lesefähigkeiten bei Früh und Neugeborenen mit einer restriktiven Transfusionstrategie besser- ein Studienergebnis, das bei Wiederholung nicht bestätigt wurde. 

Die Transfusionstrategie/Indikation beim Frühgeborenen

Eine kleine Studie von 2005 mit n=100 FG zwischen 500-1300g hat eine erhöhte Rate an IVH, periventrikuläre Leukomalazie und vermehrt Apnoe-Episoden mit der restriktiven Transfusionsstrategie assoziiert gefunden. Eine größere Studie (PINT, n= 451, 2006) hatte auch nach 21 Monaten keine Unterschiede zwischen den restriktiv und liberal transfundierten FG gefunden, bis auf den Transfusionsbedarf. Ebenfalls keine Unterschiede außer dem Transfusionsbedarf haben eine Cochrane Meta-Analyse , eine systematische Literaturübersicht und Meta-Analyse aus der letzten Dekade, eine europäische aktuelle Multizenterstudie aus diesem Jahr 2020 (ETTNO, n=1013, < 1000g) ergeben. Noch bislang unveröffentlicht ist die "Transfusion of Premature (TOP,  ClinicalTrials.gov Identifier: NCT01702805; n=1824, <1000g).

Internationale Leitlinienempfehlungen

In der Tabelle 1 sind die Empfehlungen der Fachgesellschaften aus Canada, Australien, Großbritannien und Frankreich der Transfusionstrigger je nach postnatalem Wochenalter und in Abhängigkeit von der Sauerstoff-bzw. Beatmungspflichtigkeit aufgeführt.  Diese Tabelle haben wir hier verkürzt übersetzt und die deutschen Empfehlungen aus den aktuellen Querschnittsleitlinien 2020 der BÄK hinzugefügt.

 Transfusionstrigger (Hämoglobinkonzentrationen g/dl)

Nation

Alter

Sauerstoffbedarf

Beatmung

ohne Atemunterstützung oder O2

Canada

 

1. Woche

2. Woche

≥3. Woche/ älter 

FiO2 >25% oder Atmungsunterstützung

11,5 g/dl

10,0 g/dl

8,5 g/dl

 

 

 

10,0 g/dl

8,5 g/dl

7,5 g/dl

Australien

 

1. Woche

2. Woche

≥3. Woche

Suppl. O2, High Flow*, CPAP, PPV

11,0-13,0 g/dl

10,0 - 12,5 g/dl

8,5-11,0 g/dl

 

 

10,0-12,0 g/dl

8,5-11,0 g/dl

7,0-10,0 g/dl

Großbritannien

 

 

in den ersten 24h

Tag 1-7

Tag 8-14

≥Tag 15

 

Invasive Beatmung

12,0 g/dl

12,0 g/dl

10,0 g/dl

10,0 g/dl

Non-Invasive PPV oder O2-Insuffl.

12,0 g/dl

10,0 g/dl

9,5 g/dl

8,5 g/dl

 

 

10,0 g/dl

10,0 g/dl

7,5 g/dl (in besonderen klinischen Situationen bis zu 8,5 g/dl)

7,5g/dl

Frankreich

 

 

<7 Tage

≥7 Tag

 

assistierte Beatmung o. NIV/ CPAP, High Flow* mit FiO2 >30% 

11,0 g/dl

10,0 g/dl

 

spontane Atmung + NIV/CPAP, High Flow* O2 mit FiO2 < 30% 

10,0 g/dl

8,0 g/dl

 

 

 

 

7,0 g/dl (wenn symptomatisch und Reti < 100g/l)

Deutschland**

 

ersten 24h

1-7 Tage

8-14 Tage

>14 Tage

 Invasive Beatmung

12,0 g/dl

12,0 g/dl

10,0 g/dl

10,0 g/dl

O2-Therapie/NIV

12,0 g/dl

10,0 g/dl

9,5 g/dl

8,5 g/dl

 

Raumluft

< 10 g/dl

< 10 g/dl

< 7,5 g/dl

< 7,5 g/dl

 

NIV- Non-Invasive Beatmung, CPAP-Continuierliche Überdruckbeatmung, *- meist nasal, PPV-Positive Pressure Ventilation-Überdruckbeatmung, FiO2- inspiratorischer Sauerstoffgehalt (Fraktion)

** aus den Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer 2020 (siehe unsere Nachricht)

 

Optimales Vorgehen und ideale Konserve 

Transfusions-Volumen = Körpergewicht x Geschätztes Blutvolumen* x (Ziel [Hb] - aktuell[Hb]/Konserven [Hb]) 

* -100- 120 ml/kg bei FG

Das ist die Formel, die in den vorigen Versionen der QLL zu finden war. In der neuen Version steht jetzt (wie auch bereits zuvor), dass 3ml/kg die Hb-Konzentration um 1g/dl erhöht. In diesem hier vorgestellten kanadischen Artikel wird von 10-15ml/kg mit dem Verweis auf den variierenden Hämatokrit der Konserven gesprochen. Um die Kaliumbeladung zu minimieren, sollen die Konserven möglichst rasch transfundiert werden und wenn nicht innerhalb von 24h möglich, dann sollen sie frisch zentrifugiert und der Überstand verworfen werfen.

Der Waschprozess für EKs ist laut QLL 2020 Kap. 1.5.2.2 nur bei transfusionsrelevanten Antikörper gegen IgA oder andere Plasmaproteine oder bei anamnestisch bekannter wiederholter schwerer, nicht geklärter, nicht hämolytischer Transfusionsreaktion eines Empfängers empfohlen. In dem kanadischen Artikel sind zur Begründung und Indikation für gewaschene Konzentrate Vorbehalte gegen die Stabilisatorlösungen vorgebracht, die unbekannte Risiken für Neu- und Frühgeborene mit sich bringen könnten. Aber dafür oder dagegen gäbe es gleichermaßen ungenügend Evidenz.

CMV-negative Konzentrate werden als in der Praxis ebenso zur Reduktion der CMV Übertragungsrate geeignet wie Leukozytendepletionsfilter, gleiches findet sich auch in den QLL 2020 Kap. 10.4.2.

Die Blutgruppentestung von Früh- und Neugeborenen < 4 Mon. ist aufgrund des unreifen Immunsystems und zirkulierenden Aks der Mutter nicht immer unproblematisch. In diesen Fällen kann ein Ausweichen auf die Universalkonserve der Blutgruppe Null negativ erwogen werden. Außerdem können mehrere Kinder damit versorgt und damit der Konservenverwurf optimiert werden. 

Die Single-Donor-Taktik mancher Zentren (Aliquotierung einer Erwachsenenspende und Reservierung für dasselbe Kind mit dem Ziel, das Infektionsrisiko zu minimieren) erfordert mehr Aufwand und Logistik. Sie wird in Kanada in einigen Zentren angeboten, in Anderen nur auf Anfrage durchgeführt. 

Diuretika-Gebrauch bei Frühgeborenen um einer Volumenüberladung vorzubeugen wird nicht eindeutig empfohlen.

Patient Blood Management für Frühgeborene

Es wird mit der interdisziplinären Zusammenarbeit bezüglich des Managements der präoperativen Anämie, Transfusionsvermeidung, Gerinnungstherapie und sektorenübergreifenden Kommunikation in dieser Altersgruppe nicht leichter als in anderen Altersgruppen.  Auf die Literaturübersicht im offiziellen Blatt der britischen Gesellschaft der Transfusionsmediziner wird hingewiesen, der 2018 in Transfus Med die Besonderheiten und realisierbaren Ziele und Methoden des PBM für Früh- und Neugeborene zusammenträgt. Kurz zusammengefasst habe es spätes Abnabeln, Verzicht auf unnötige Laboranalytik, noninvasive Monitoringtechnik und kleinvolumige Spezialröhrchen und die kanadischen Leitlinien geschafft. Erythropoetin wird nicht als in dieser Altersgruppe bedenklich gesehen, lediglich aufgrund des schwachen blutsparenden Effekts nur eingeschränkt als Routinemaßnahme angesehen. Eisenmangel auf der neonatalogischen Intensiv ist mit 9,1% Prävalenz nicht ganz so häufig wie bei Älteren, kann aber mit oraler oder gleich sicherer intravenöser Eisentherapie von 1–3 mg/kg/Tag von 1 Monat - 6.–12. Monat therapiert werden. 

Zusammenfassung

Alles in allem ein lesenswerter Artikel, allerdings nichts was in Canada gänzlich verschieden von unseren Empfehlungen ist- bis auf eine Tendenz zu mehr Anämietherapie im Rahmen des PBM Konzepts.

Pubmed

Für sie gelesen von Th. Frietsch 

 

   

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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